Sie sind hier: Startseite Notizblog Lehre IDA-Projekt „Kreatives Schreiben. …

IDA-Projekt „Kreatives Schreiben. Ein innovatives Kurskonzept zum forschenden Lernen mit Praxisbezug“

Im Notizblog Lehre erhalten Sie Einblicke in die Lehrpraxis der Universität Freiburg sowie aktuelle Nachrichten zu Themen der Lehre. Der Notizblog Lehre führt die Impulswerkstatt Lehrqualität weiter, die seit 2010 Ideen, Erfahrungsberichte und aktuelle Informationen zu Lernen und Lehren gesammelt hat.

Redaktionell wird der Notizblog von der Abteilung Lehrentwicklung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg betreut.

 

Mit Hilfe der Förderung des IDA erarbeiten wir – Prof.in Weertje Willms (Neuere Deutsche Literatur), Prof.in Martina Backes (Mediävistische Germanistik) und Martin Gülich (Autor) – ein innovatives Kurskonzept, das kreatives Schreiben in die Literaturwissenschaft integrieren und nachhaltig an der Universität Freiburg etablieren soll.

Während man sich in literaturwissenschaftlichen Seminaren üblicherweise rein theoretisch-rezeptiv mit Literatur beschäftigt, ist es das Ziel dieser Lehrveranstaltung, wissenschaftlich-analytische mit kreativen Anteilen zu verbinden. Hintergrund dieses Anliegens sind vor allem folgende Beobachtungen: Zum einen scheint es sehr sinnvoll, dass angehende LiteraturwissenschaftlerInnen auch eine praktische Vorstellung von ihrem wissenschaftlichen Gegenstand – der Literatur – erhalten und die eigenen sprachlichen Möglichkeiten auf vielfältigen Ebenen erproben. Gerade auch für die angehenden Deutsch-Lehrkräfte ist es wichtig, Kompetenzen des kreativen Schreibens und der Wertung von Literatur zu erwerben, da sie diese im Schulalltag vielfach benötigen; bisher sind entsprechende Lehrveranstaltungen jedoch nicht im Curriculum verankert. Zum anderen haben wir in Vorläuferseminaren während der letzten Jahre die Beobachtung machen können, dass die Studierenden durch den Perspektivwechsel ein sehr viel besseres und vertieftes Verständnis von Literatur und literaturwissenschaftlichen Analysekategorien – wie etwa Stil, Formen, narratologische Gestaltung, Gattungen, Traditionen etc. – gewinnen als durch die rein rezeptive Herangehensweise.

Im Sommersemester 2019 setzten wir das von uns erarbeitete Kurskonzept erstmals in einem Seminar um, das in mehreren ganztägigen Blöcken stattfand und verschiedene Teile miteinander verknüpfte:

Erwerb von Kompetenzen des kreativen Schreibens

 

Angeregt durch Schreibimpulse, die der Autor Martin Gülich gab, verfassten die Studierenden kurze narrative und poetische Texte. Die Schreibarbeit führte zum Ausloten der Möglichkeiten eigener sprachlicher Kreativität und regte die selbständige Auseinandersetzung mit Sprache, Stil, Form, Aufbau etc. eines Textes an. Unter Anleitung des Autors wurden die Texte anschließend in der Gruppe besprochen und im Weiteren – auch außerhalb des Kurses und unter individueller Betreuung – überarbeitet. Die Überlegungen zum eigenen Schreib-Handeln, das Erlernen von Schreibtechniken und die Besprechungen der Texte in der Gruppe führten zur Entdeckung der eigenen kreativen Möglichkeiten und förderten darüber hinaus die selbständige Reflexion der im analytischen Studium erworbenen literaturwissenschaftlichen Kenntnisse.

Systematische Verknüpfung von kreativer Praxis und wissenschaftlicher Reflexion

Die so angeregte theoretisch-wissenschaftliche Reflexion über die selbst verfassten literarischen Texte wurde in den wissenschaftlichen Teilen der Blockveranstaltungen systematisch unter Anleitung der Dozentinnen fortgesetzt. Die Schreibphasen wechselten sich mit literaturwissenschaftlicher Textanalyse, der Diskussion literatur- und kulturwissenschaftlicher Theorien und verknüpfenden Reflexionsphasen ab. Alle Teile waren aufeinander abgestimmt, sodass sich wissenschaftliche und kreative Kompetenzen gegenseitig befruchteten. So wurden das Bewusstsein für den Umgang mit Sprache geschärft, das Verständnis von literarischen Formen und Schreibweisen vertieft, Gattungsentwicklungen, literarhistorische Zusammenhänge und literaturgeschichtlich relevante Positionen neu durchdacht. Nicht zuletzt erwarben die Studierenden durch das Abfassen eigener Texte und die gemeinsame Diskussion unter professioneller Anleitung eine weitere literaturwissenschaftliche Kompetenz, die auch in Hinblick auf eine berufliche Qualifizierung unserer AbsolventInnen immer wichtiger wird: Sicherheit in der Bewertung von Literatur.

Performative Umsetzung der Texte in der Aufführung und professionsorientierte Einblicke in den Literaturbetrieb

 

In einem dritten Schritt lernten die Studierenden, die verfassten Texte performativ umzusetzen und einer Öffentlichkeit zu präsentieren. Hierbei wurden wir von dem Schauspieler Heinz Spagl vom Theater im Marienbad unterstützt. Auch durch diesen Teil des Kurses wurden zentrale literaturwissenschaftliche Kompetenzen erworben: Indem die Studierenden die Texte in eine andere Form transformierten, eigene und fremde Texte rezitierten und die eigenen Texte von einer anderen Stimme gesprochen hörten, setzten sie sich nicht nur äußerst intensiv mit ihnen und der Vielfalt von Interpretationsmöglichkeiten auseinander, sie mussten auch die Umwandlung des Textes in eine Aufführungsperformanz nachvollziehen und die Beziehung zwischen Text und Rezipient neu begreifen. In der letzten Blocksitzung haben wir die Trias Autor-Text-Rezipient noch einmal theoretisch reflektiert.

 


Die szenische Lesung fand am 04. Juli 2019 unter dem Titel „über uns wolken sehr. Ein textlastiger Abend“ im Peterhofkeller der Universität Freiburg statt. Die Veranstaltung wurde von über 90 ZuschauerInnen besucht, von denen begeisterte Rückmeldungen kamen.

Eine Auswahl der im Kurs entstandenen Texte der Studierenden haben wir in einer kleinen Anthologie versammelt: „über uns wolken sehr. Prosa, Lyrik, Fragmente“.

Durch die Kooperation mit dem Literaturhaus Freiburg, das eine interaktive Führung anbot, konnten die Studierenden darüber hinaus Einblicke in den Literaturbetrieb und berufsrelevante Kompetenzen im Bereich Literaturvermittlung auch auf der organisatorischen Ebene erwerben.

Die Arbeit im Kurs wurde durchgängig reflektiert und den individuellen Bedürfnissen der Studierenden angepasst. Immer wieder erreichten uns im Laufe der Arbeit äußerst positive Rückmeldungen, da die Studierenden durch das neue Konzept wichtige Erkenntnisse gewinnen konnten, die klassische literaturwissenschaftliche Seminare nicht vermitteln. In der Evaluationsrunde in der letzten Sitzung wurde der Kurs sehr positiv bewertet.

Grundsätzlich kann das Kurskonzept auf alle Philologien übertragen werden. In dem Wechsel von kreativen Schreibphasen, theoretischer Diskussion, Textanalyse und verknüpfender Reflexion müssten lediglich die Textanalyse-Teile durch entsprechend andere Werke aus den jeweiligen Nationalphilologien ausgetauscht werden. Gerne beraten wir interessierte KollegInnen hinsichtlich einer Übertragung und Anpassung des Kurses in die anderen literaturwissenschaftlichen Fächer.

Fotos: Martina Backes

Prof. Dr. Weertje Willms

Deutsches Seminar - Neuere Deutsche Literatur

 

Prof. Dr. Martina Backes ‎

Deutsches Seminar - Germanistische Mediävistik